Brennpunkt | Dienstag, 26. Juli 22Beweisanträge verschleppen Mordprozess: Verteidigung will Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen erschütternDeggendorf/ Passau/ Freyung - Mord oder Totschlag? Das Urteil im Prozess um das Verbrechen von Freyung wird am ersten Freitag im August erwartet. Eine Serie von Beweisanträgen der Verteidigung hat dazu geführt, dass die Verhandlung heute bis spät in die Nacht hinein dauerte. Sie endet mit einem Kräftemessen. Der Prozess im Wiederaufnahmeverfahren um einen jungen Mann aus Freyung, der mit mehreren Messerhieben im Spätherbst 2016 seinem kleinen Sohn die Mutter raubte, neigt sich nach fast vier Monaten vor dem Landgericht Deggendorf dem Ende zu. Durch eine Fülle von Beweisanträgen der Verteidigung hat sich das Verfahren in die Länge gezogen. Außerdem fielen zwei Prozesstage aus, weil einer der Strafverteidiger sich eine Sportverletzung zugezogen hatte. Ob die Beweisaufnahme nach 18 Prozesstagen (so unsere Aufzeichnungen) abgeschlossen wird, sollte sich heute Abend nach der Vernehmung des letzten Zeugen zeigen. Ein erneut geladener Professor der Münchner Gerichtsmedizin trat auf. Dessen schriftliche Erklärung dazu, ob ein bestimmtes Damastmesser, das in Militärläden angeboten wird, die Tatwaffe sein könnte, genügt der Verteidigung nicht. Der Angeklagte ist in der ersten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Passau wegen Totschlags zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Durch die Wucht der Messerhiebe wurden dem Opfer im Unterkiefer zwei Backenzähne ausgeschlagen, dabei sei das Messer beschädigt worden, erklärte der Täter. Kann dies möglich sein? Diese Frage sollten heute die Gutachter, ein Zahnarzt, ein Metallfachmann und der Gerichtsmediziner klären. Die Tatwaffe ist nie gefunden worden, der Täter hat sie wahrscheinlich in Passau in den Fluss geworfen. Damit die Leiche der getöteten Mutter nicht entdeckt wird, hatte er diese teilweise verstümmelt in einen Müllsack gepackt und zwischen Kartons in einem aufgelassenen Kamin versteckt. Aus Sicht des Angeklagten ist die Strategie der Verteidigung, einer der beiden Strafverteidiger ist ein Passauer Uni-Professor, hartnäckig und brillant. Es wurde ein Befangenheitsantrag gegen die Kammer gestellt; es wurde dem Chefermittler der Passauer Mordkommission vorgeworfen, voreingenommen und deshalb lückenhaft ermittelt zu haben; es wird die Glaubwürdigkeit der beiden neuen Hauptbelastungszeugen in Zweifel gezogen. Eine junger Mann und seine Freundin, die nach uneidlicher Falschaussage im ersten Prozess verurteilt worden sind, wollen aus erster Hand erfahren haben, dass der Täter sein Opfer im Schlaf - und nicht wie im Passauer Prozess dargestellt im Streit - erstochen habe. Heimtücke wäre ein Mordmerkmal.
Anstrengend ist die akribische Arbeitsweise der Verteidigung für die Kammer und allen anderen Prozessbeteiligten. Die Stimmung ist gereizt. Dies markieren spitze Bemerkungen und Untertöne, die zwischen dem Professor der Verteidigung und dem Vorsitzenden der Kammer fallen. Es geht mitunter um Kleinigkeiten und Missverständnisse. Nur ein Beispiel: Die Kammer hatte sich mit den Mitwirkenden unterhalten, wie lange die Plädoyers der Parteien wohl dauern werden; um sich zu vergewissern, dass diese an einem Tag bewältigt werden können. Der genannte Verteidiger fühlt sich ob dieser Abstimmung gegängelt. Er werde sich vorab dem Gericht nicht erklären und festlegen, wie lange sein Vortrag währt.
Plädoyers am Freitag geplant Kurz vor 22 Uhr. Im Landgericht Deggendorf sind eine Reihe von Fenstern hell erleuchtet. Der verbliebene Strafverteidiger berät sich in den letzten Minuten mit seinem Mandanten in einem Raum im Erdgeschoss. Die Justizwache ist voll besetzt. Im Gerichtsaal, wo alle pünktlich um 22 Uhr eingetroffen sind, auch die Mutter der Getöteten, ist es mucksmäuschenstill. Im Zuschauerraum sitzen zwei Menschen, die Begleiterin der Mutter und ein Mann aus Plattling, der sich selbst als leidenschaftichen Prozessbeobachter für Kriminalfälle bezeichnet. Als die fünf Vertreter der Kammer eingetreten sind, der Vorsitzende Richter seine Entscheidung zum Beweisantrag verkünden will, übernimmt abermals der Verteidiger das Wort und sagt, er wolle eine Erklärung abgeben. Er wirft dem Vorsitzenden Richter vor, das Verfahren "durchpeitschen" zu wollen, erklärt den Nachttermin als Zumutung für alle Beteiligten. Er erwähnt die Arbeitszeiten der Gerichtsbediensteten und erklärt sich zum Schluss selbst als nicht aufnahmefähig angesicht des langen Prozesstages. "Sie hätten sich zwischen 14 und 18 Uhr erholen können", entgegnet der Vorsitzende Richter. Der Staatsanwalt mischt sich ein. Er habe den Verteidiger noch kurz zuvor in einem Lokal im angeregten Gespräch mit zwei Personen gesehen, von Erschöpfung keine Spur.
Das Kräftemessen zwischen dem Strafrechtsprofessor und dem Vorsitzenden Richter scheint in diesen Minuten nach 22 Uhr seinen Höhepunkt zu erreichen. Beim Mann auf der Richterbank färbt sich das Gesicht rot. Unterdrückte Wut? Es liege in der Hand des Verteidigers, ob er nun die Entscheidung zum Beweisantrag verkünden könne oder die Verhandlung abgebrochen werden soll. Der Gegenspieler an der Verteidigerbank legt seine gefalteten Hände an den Mund - und schweigt. Der beisitzende Richter zur Rechten neigt sich flüsternd dem Vorsitzenden Richter zu, der befolgt dessen Rat: Man zieht sich kurz zur Beratung zurück. hud
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Dienstag
03. Oktober 2023
PRIVATE PLATTFORMEN03.10. | Dienstag FREYUNG Landesgartenschau: The Lemon Orchestra Zwischen Gitarre, Bass und Orgel erklingt der bayerische Gesang von Fabrizio Feuersalamander und Johannes Maria Haslinger. Die Eigenkompositionen verbinden Blues mit Disco-Pop. 11:00 Uhr | 16 Euro CAFÉ MUSEUM Jazz-Session ![]() Ob Profi oder Amateur, jeder darf sein Können auf der Bühne zeigen. Gitarrist David Wildner eröffnet den Abend. 20:00 Uhr | freier Eintritt
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