Brennpunkt | Sonntag, 22. Mai 22

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Skizze der Kamerapositionen am Kleinen Exerzierplatz: Überwachung "Klostergarten". (Quelle: Stadt Passau)
Schreiben vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof

Passauer Klostergarten-Videoüberwachung: Was dem Stadtrat verschwiegen wird

Manche Mitglieder des Passauer Stadtrates werden sich wahrscheinlich wundern: Morgen sollen sie in der Großen Stadtratssitzung erneut über die größte Videoüberwachungsanlage der Stadt abstimmen, die seit Dezember 2018 in der Neuen Mitte in Betrieb ist. Ein aktuelles Gerichtsverfahren setzt das Rathaus unter Druck.

Der Hintergrund zu Tagesordnungspunkt 5 "Fortschreibung des Sicherheitskonzeptes" ist dem Stadtrat offensichtlich nicht bekannt: ein brisantes Schreiben des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Es liegt dieser Redaktion vor und wird am Ende des Beitrags den Interessierten zur Verfügung gestellt, ebenso die Rechtsbetrachtung einer Frankfurter Kanzlei.

Die Videoüberwachung ist zum Objekt eines Rechtsstreits geworden, der vor der höchsten bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgefochten wird und dessen Entscheidung in in diesem Sommer ansteht. Die Anlage steht auf wackeligen Beinen.

Zehn Kameras hat die Stadt an allen Enden und Ecken des sogenannten Klostergartens installieren lassen, der sich als Bestandteil des Kleinen Exerzierplatzes zwischen Nikolakloster und Kapfingerhochhaus erstreckt. Ein gefährlicher Schauplatz des Verbrechens? Ein Angstraum? Die einem Gefängnishof anmutende Installation, garniert mit Warnschildern, mag den unbefangenen Besucher irritieren. Denn er blickt auf einen sehr übersichtlichen Park, bepflanzt mit Platanen und Blümchen, ausgestattet mit Brunnen und Wippschaukel, ein Areal ohne "dunkle Ecken". 

Lokalpolitiker aller Couleur, von CSU bis Grüne, hatten gegen die Totalüberwachung dieses Parks ihre Stimme erhoben. Doch die Regierungsmehrheit im Rathaus setzte sich durch. Gegen die eigene Stadt Klage zu führen, traute sich am Ende nur einer: Josef Ilsanker, Vertreter der Linken. Er wird unterstützt von der Berliner Gesellschaft für Freiheitsrechte. Studierende der Rechtswissenschaften stehen an seiner Seite. Über die mündliche dreistündige Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof haben wir im April-Heft ausführlich berichtet.

Der Prozessbeobachter erfuhr von den Schwächen des Mehrheitsbeschlusses, der zu dieser Videoüberwachung führte:

  • Die Stadträte, derzeit 35 Männer und 9 Frauen, waren vor der Abstimmung über Art und Umfang der Überwachung, deren konkrete Umsetzung nicht hinreichend informiert worden - obwohl das Angebot der ausführenden Elektrofirma bereits detailliert vorlag.
     
  • Die Bewertung, ob diese Videoüberwachung in einem vernünftigen Verhältnis zur Sicherheitslage steht, ist schwierig. Es fehlt an konkreten Belegen für schwere Verbrechen, beispielweise Handel mit harten Drogen oder eine Serie von Gewaltdelikten.

Als diese Redaktion im April bei der Polizei nachfasste, wie viele und welche Delikte in den letzten fünf Jahren im sogenannten Klostergarten erfasst worden sind, lautete die Antwort

  • dass man wegen der „gerichtlichen Überprüfung explizit für diese Örtlichkeit“ derzeit nicht Stellung nehmen werde
     
  • dass der angebliche Fund eines Drogenbestecks nicht verifiziert werden könne, da solche Verfälle in der Polizeistatistik nicht erfasst werden
     
  • verwies man auf die „Gesamtkriminalitätslage“       

Der Autor, der die Polizeiberichte der letzten zehn Jahre archiviert hat, erlaubt sich die Anmerkung: Diese Videoüberwachung basiert offensichtlich auf einem konstruierten „Raum des Verbrechens“. Es gibt diesen nicht. Es ging  2018 im Stadtrat wohl darum, bestimmte Zeitgenossen zu vertreiben, unliebsame Zecherinnen und Zecher, welche die Parkbänke belegen, und den einen oder anderen Kiffer, darunter Schulpflichtige, die an diesem ZOB-nahen Ort ihr Gras weiterreichen. Das aktuelle Wochenende, das wegen sommerlicher Temperatur, gefühltem Ende der Pandemie und wiedererwachtem Nachtleben den Polizeibericht mit zahlreichen Alkoholdelikten füllte, belegt einmal mehr: Der „Klostergarten“ als Tatort spielt keine Rolle.

Was in der Gerichtsverhandlung nicht zur Sprache kam: Aufwand, Kosten und Nutzen der Anlage stehen in keinem Verhältnis. Die meisten Zeit über, bei Wochenmärkten, bei Demonstrationen und bei Veranstaltungen wie die bevorstehende Original-Maidult, zeichnen die Kameras - so versichert die Stadt - aus rechtlichen Gründen ohnehin nicht auf. Wie die zehn elektronischen Augen deaktiviert werden, dazu gibt es Widersprüche. Die Kameras werden „abgedunkelt“, heißt es in der aktuellen Beschlussvorlage für den morgigen Stadtrat. Tatsächlich war es die Aufgabe der Innenstadtkümmerer, vor jeder Veranstaltung mithilfe einer Leiter hochzuklettern und jede einzelne Kamera mit einer grauen Schutzhülle zu verhängen. Diese angebliche „Verdunkelung“ ist aber augenscheinlich wohl wegen der aufwändigen Prozedur eingestellt worden. Während eines Wochenmarktes erklärt ein Verantwortlicher im Gegensatz zur Darstellung der Stadtverwaltung, dass eine „automatische Abschaltung“ mittlerweile möglich sei. Wer kontrolliert diese?

Widersprüche scheinen eine dauerhafte Begleiterscheinung dieser umstrittenen Videoüberwachungsanlage zu sein. Vor einem Jahr erfolgte ein solcher vom Datenschutzbeauftragten, daraufhin wurde Kamera Nummer 10 „neu ausgerichtet.“

Die Anfrage des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an die Stadt
Die Darstellung und Einschätzung der Frankfurter Kanzlei, welche die Klägerin vertritt
Die Beschlussvorlage für den morgigen Stadtrat

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