Printmagazin | Dienstag, 25. November 14

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Gleichberechtigung oder Gängelei? Im Medienzentrum der "Passauer Neuen Presse" streiten Redakteure und Betriebsräte um die Frage, ob die Zeiterfassung auch für Journalisten eingeführt werden soll.
Geheime Abstimmung

PNP-Redakteure streiten um Stechuhr

In der Heimatzeitung "Passauer Neue Presse" haben sich ungewöhnliche Fronten gebildet. Die Verlegerfamilie steht prinzipiell hinter einer Forderung des Betriebsrates, die Chefredaktion und viele altgediente Redakteure halten dagegen. Es geht um die Frage: Soll die Arbeitszeit der Journalisten künftig kontrolliert werden, sollen Stechuhr und Stundenzettel geführt werden?

 „Wir brauchen dringend eine Zeiterfassung, damit Gerechtigkeit herrscht zwischen Arbeitsleistung und Bezahlung, aber auch zwischen Redakteuren und Verlagsangestellten“, lautet der Standpunkt des Betriebsrates. Unterstützt werden die Funktionäre vor allem von jungen Redakteuren. Diese leiden unter befristeten Verträgen, untertariflicher Bezahlung und Überstunden, die sie mangels Zeiterfassung nicht ausgleichen können. 

Zeiterfassung ist "Teufelswerk"
„Die Arbeit eines Journalisten lässt sich nicht mit der Stechuhr messen. Wir sind keine Beamten“, sagen viele altgediente Redakteure. Eine Zeiterfassung sei „Teufelswerk“ soll der Chefredakteur bei einer Betriebsversammlung gesagt haben. Die Redakteure fühlten sich durch Zeiterfassung einem Kontrolldruck ausgesetzt. "Wir werden unserer künstlerischen Freiheit beraubt", sagt ein Lokalredakteur. Mitglieder der Chefredaktion wollten sich auf Anfrage nicht äußern. Das Thema sei zu intern, für die Öffentlichkeit wohl nicht von Interesse.

Geheime Abstimmung
Der Meinungsstreit der verschiedenen Lager beherrscht seit Wochen das Thema im Verlagshaus der Heimatzeitung „Passauer Neue Presse“. Eine geheime Abstimmung unter den rund 130 Redakteuren, die noch bis 27. November läuft, soll die Entscheidung bringen.

Wenn Journalisten gleichbehandelt werden wie Angestellte im Verlag und in der  Druckerei - diese müssen jede Raucherpause ausstempeln - , dann sorge das für mehr Gerechtigkeit im Haus, glaubt auch Werner Schötz, Mitglied des Konzernbetriebsrates der "Verlagsgruppe Passau". Vor allem die jüngeren Kollegen, die unter Tarif bezahlt und mit Mehrarbeit belastet werden, könnten damit ihre Position verbessern, meint Betriebsrat Reinhard Wilhelm von der PNP-GmbH "Donau-Wald Presse". Wenn Überstunden erfasst werden, hätten sie Anspruch auf Ausgleich.

 „Die Kolleginnen und Kollegen haben keine Veranlassung, den Verlegern Jahr für Jahr den Gegenwert eines Kleinwagens zu schenken“, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) Michael Konken Anfang des Jahres bei einer Sitzung des Gesamtvorstandes in Fulda. Dort beschloss der Verband, sich dafür einzusetzen, dass die Arbeitszeit insbesondere in Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen erfasst wird. Was für Verlagsangestellte längst Standard sei, dürfe bei Redakteuren nicht als Stechuhrjournalismus verunglimpft werden, meinte Konken.

500 Euro unter Tarif
Ob sich die junge Garde der PNP-Redakteure durchsetzen kann? Mit der Zeiterfassung wären sie besser gestellt, wenn ihnen Überstunden abverlangt werden. Mit befristeten Verträgen, meist auf zwei Jahre, muss dieser Nachwuchs ohnehin um seine Zukunft bangen. Im besten Fall wird ein Jungredakteur nach Vertragsablauf zur nächsten Gesellschaft weiter geschoben und fängt dort zum alten Gehalt wieder an. Die PNP-Gehälter für Jungredakteure  liegen etwa 500 Euro unter Tarif, der beträgt derzeit für Redakteure bis zum dritten Berufsjahr gut 3.100 Euro brutto. Damit die Rechte der Arbeitgeber ausgehebelt werden können, hat die Verlegerfamilie Diekmann - wie viele andere Großunternehmen - den Betrieb seit 2004 in 15 Gesellschaften aufgesplittert und die Tarifbindung verlassen.

„Wenn sich die Mehrheit der Redakteure gegen die Zeiterfassung ausspricht, müsste ich ernsthaft überlegen, zurückzutreten“, hat Wilhelm kämpferisch angekündigt. Jahrelang habe er für die Rechte der Mitarbeiter gekämpft, sei „ins Feuer gegangen“, habe persönliche Nachteile in Kauf genommen. 2009 war beispielsweise eine Kündigungswelle erfolgreich verhindert worden. Mit dem Nein zur Zeiterfassung falle man der Arbeit des Betriebsrates in den Rücken, so Wilhelm.

Relikte der 36,5-Stunden-Woche
Die Gegner der Zeiterfassung, die alte Garde der Schreiberlinge, darunter viele in leitenden Positionen, ruhen sich - wollte man es bösartig ausdrücken - auf ihrem Bestandsschutz aus. Ihre Verträge stammen aus einer Zeit, als sich die „Passauer Neue Presse“ noch an Tarifverträge  gebunden fühlte. 1995 wurde zur Einführung der  36,5-Stunden-Woche folgende Betriebsvereinbarung geschlossen: Die Redakteure arbeiten wenigstens 38,5 Stunden die Woche und erhalten dafür je Arbeitsmonat einen freien Tag. Das wären pro Jahr maximal zehn. Die Arbeitsstunden sind bis heute nie kontrolliert worden. Die Umsetzung werde pauschal gehandhabt. „Viele dieser altgedienten PNP-Redakteure verlängern ihren Jahresurlaub automatisch um zehn Tage“, erklärt ein Insider.

Ob und wie viele Überstunden anfallen, ist abhängig vom Ressort, Aufgabenbereich und Nachrichtenlage. Ein Wirtschaftsredakteur im Innendienst kann sich seine Zeit sicher besser einteilen als ein Lokalreporter bei Kommunalwahlen oder ein Sportredakteur bei der Fußballweltmeisterschaft. Ein PNP-Redakteur hat einmal nachgerechnet, dass er in fünf Jahren etwa 4.000 unbezahlte Überstunden kostenlos geleistet habe. „Ich habe dem Verleger nicht einen Kleinwagen geschenkt, sondern ein anständiges Auto“.

Informantengespräch in der Kaffeepause
Wo die Arbeitszeit eines Journalisten beginnt oder endet, lässt sich trefflich streiten. Wenn er beispielsweise beim Besuch des Kaffeehauses zufällig einen Informanten trifft, der ihm eine spannende Neuigkeit steckt – war diese Kaffeepause dann Dienst? Vor allem draußen am Land, in kleinen Drei-Mann-Redaktionen, lasse sich die Zeiterfassung kaum durchsetzen, behaupten die Altgedienten. Um den Tagespflichten nachzukommen, müssen die Kollegen dort die Arbeitszeiten sehr flexibel handhaben. In „heißen Phasen“, wie etwa zu Wahlkampfzeiten, fielen viele Überstunden an. Zu anderen Zeiten werde die Arbeitszeit dafür lockerer gehandhabt. Die Stechuhr wird hier als Gängelband gesehen. Auch solche Argumente werden gegen Zeiterfassung gerne angeführt: Wenn ein Redakteur laut Stechuhr sein Tagessoll erfüllt hat, könnte er keine Veranlassung mehr sehen, zu einem nächtlichen Brand- oder Unfalleinsatz zu fahren. "Totaler Blödsinn", sagt ein Betriebsrat. Genau das Gegenteil sei der Fall: Es könne ihn motivieren, dass er die Nachteinsätze erfassen und später mit einem freien Tag abbummeln kann.

Druck aus Oberbayern
Die Debatte hat zu ungewöhnlichen Fronten geführt: Die Verlegerfamilie steht erstmals auf der Seite des Betriebsrates, hätte gegen die Zeiterfassung der Redakteure nichts einzuwenden. Das Thema aufs Tablett gebracht haben die neuen Redaktionen in Oberbayern. Die PNP hat sich das „Reichenhaller Tagblatt“ und den „Freilassinger Anzeiger“ einverleibt, zuvor bereits das „Trostberger Tagblatt“ und die „Südostbayrische Rundschau“. Als diese Kollegen erfuhren, dass mit dem PNP-Redaktionssystem zusätzliche Arbeit auf sie zukommt, forderten sie die Zeiterfassung.

Bildschirmarbeit statt Recherche
Mit Recherchieren, Schreiben und Fotografieren ist es heute für Redakteure bei der PNP und in vielen anderen Verlagshäusern nicht mehr getan. Die Journalisten dienen nicht mehr dem Leser, sondern dem Geldbeutel des Verlegers und dem Stellenabbau. Sie übernehmen die Arbeit der Mediengestalter (früher Schriftsetzer), ersetzen Layouter, Lektoren und Korrektoren. Zeit, die sie vielleicht bräuchten, um guten Geschichten nachzugehen, verbringen sie am Bildschirm, um Texte und Bilder einzupflegen und Seiten zu gestalten. 

Rotstift trifft immer die Redaktionen
Wenn Verleger den Rotstift ansetzen, um bröckelnden Auflagen entgegenzuwirken, trifft es zuallererst die Abteilungen, die in ihren Augen kein Geld einbringen: die schreibende Zunft, die Redaktionen. Personaleinsparungen, Löhne unter Tarif und unbezahlte Überstunden sind das Ergebnis. Dies spüren aber auch die Leser bei der Lektüre. Schnell gestrickte Inhalte, ohne Recherche übernommene PR- und Pressemitteilungen,  unmotiviert verfasste Texte.

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Dienstag
03. Oktober 2023
 
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Zwischen Gitarre, Bass und Orgel erklingt der bayerische Gesang von Fabrizio Feuersalamander und Johannes Maria Haslinger. Die Eigenkompositionen verbinden Blues mit Disco-Pop.


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