Printmagazin | Sonntag, 17. November 13

Intimleben ausgebreitet

Schmutzkampagne gegen Landrat

Ein niederbayerischer Landrat, der nicht der Partei der Staatsregierung angehört, ist Opfer einer Schmutzkampagne der lokalen Monopolpresse geworden: Der verheiratete Mann soll nach Dienstschluss die Amtsräume des Landratsamtes für heimliche Sexaffären missbraucht haben. Die Berichte nötigen ihn zur öffentlichen Entschuldigung. Aber der Schuss geht nach hinten los: Die aufgebrachte Leserschaft stellt in hunderten Kommentaren die Schreiberlinge an den Pranger.

„Na und?“, sagen viele. Als Moralapostel habe sich dieser Mann nie aufgespielt, im Gegenteil. Von Beginn seiner politischen Karriere an offenbarte er den Bürgern, dass sein Sexualleben nicht der Norm entspricht. Fast alle Leser der Heimatzeitung sind deshalb über diese Schlagzeilen irritiert, ja verärgert. In den mittlerweile rund 300 Kommentaren auf Facebook wird deutlich, dass sie offenbar mehr Gespür dafür haben, welche Nachrichten von öffentlichem Interesse sind und welche geschmacklos die Privatsphäre einer Person verletzen als mancher Journalist.

Lokalblatt holt BILD mit ins Boot
Auslöser waren das Sonntagswurfblatt "Am Sonntag" und der „Bayerwaldbote“ (beide aus der Verlagsfamilie „Passauer Neue Presse“). Sie verbreiten die Nachricht gedruckt und im Netz zwar vorsichtig mit der Möglichkeitsform „soll“ oder mit Fragezeichen: „Sex im Amtszimmer?“ Journalistische Rückendeckung holte sich das sonntägliche Gratisblatt, indem es die „Skandalgeschichte“ parallel der „Bild am Sonntag“ steckte. Diese greift in die Vollen, hievt das Thema als Tatsachenbehauptung auf die Titelseite und garniert sie mit Drogenmissbrauch. „Poppers“, eine sexstimulierende Schnüffelsubstanz, sei auch im Spiel gewesen.

Und nun?

Der öffentliche Schlag unter die Gürtellinie sitzt. Der entblößte Landrat, der sich am Samstag noch bei einer Vogelschau im Pfarrzentrum von Bodenmais an Kanarienvögeln erfreute, sagt alle Termine ab. Er schaltet das Handy ab, verabschiedet sich mit seinem Ehepartner in den Urlaub und übergibt das Ruder für die nächsten Tage seinem Stellvertreter. Sonntagabend macht er den offenbar (von den Medien) gewünschten Kniefall und entschuldigt sich für sein reges Sexualleben, für die Affäre*. Aber der Schuss geht nach hinten los: Eine Welle der Empörung bricht in den Kommentarspalten gegen die Medien los, Leserinnen und Leser sagen den "Schmierfinken" und "Sensationsreportern" ihre Meinung.

Racheakt der Discoszene?
Wer hat den Massenblättern die Sexstory überhaupt als pikanten Politskandal angetragen, verkauft? Der Sexpartner, den der Landrat über eine Kontaktbörse im Netz kennenlernte, war es jedenfalls nicht. Die ausgeplauderten Rendezvous im Landratsamt liegen fast ein Jahr zurück. Die Recherchen, das mag Zufall sein, begannen wenige Tage nachdem sich der Landrat mit einer Bayerwalddiskothek offen angelegt hatte. Der Politiker hatte auf seiner Facebookseite das Foto eines malträtierten Burschen, eines Opfers brutaler Türsteher veröffentlicht. Direkt wie es seine Art ist, schrieb er: „Die Mehrheit der Türsteher vor den größeren Bayerwalddiskotheken ist offenbar komplett gehirnamputiert“. Schon zehn solcher Fälle seien ihm untergekommen.

Der Fall ging auch durch überregionale Medien – und warf ein schlechtes Licht auf die Klubszene und ihre Türsteher. Das Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung ist noch nicht abgeschlossen. Viele Beobachter und Betroffene halten es für sehr wahrscheinlich, dass aus diesen Kreisen der Racheakt eingefädelt wurde.  Hinweis dafür liefert Facebook: Wütende Mitglieder aus dem Kreis des betroffenen Diskothekenbetreibers legten dem Landrat nahe, dass sie seine Kontaktbörse im Internet gut kennen. "Es läuft!", freut sich ein anderer, nachdem der Artikel in der "Bild am Sonntag" erschienen ist. 

Ein Informant, der möglicherweise auf den Landrat schlecht zu sprechen war, stellte den Zeitungsleuten den Kontakt zum einzigen Zeugen her, zum damaligen Sexpartner des Landrats; dieser gab eine „eidesstattliche Versicherung“ ab, erzählte über Details der Treffen und von damals ausgetauschten Kurznachrichten. Ob er dafür Geld genommen hat, ist nicht bekannt.

Anzeigenblätter ignorieren Pressekodex
Die Veröffentlichungen aus dem Intimleben des Landrats sind weder strafrechtlich noch dienstrechtlich relevant noch von besonderem öffentlichen Interesse. Sie verstoßen gegen den Ehrenkodex der Presse**. Selbst Redakteure der BILD-Zeitung fühlen sich in "alte Zeiten" zurückversetzt. Man habe bei dieser Geschichte Bauchschmerzen, war zu vernehmen.

Eine Beschwerde beim Presserat, die jedermann einreichen kann, hat unter Umständen eine öffentliche Rüge zur Folge. Gratisblätter - wie das Sonntagsblatt - sind davon allerdings ausgenommen. Die Verleger der Anzeigenblätter haben es bis heute vermieden, sich dem Pressekodex zu unterwerfen.

hud

**Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.

*Stellungnahme des Landrats zu den heutigen Medienberichten „Sex im Amt“

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachdem in den heutigen Sonntagszeitungen unter der Schlagzeile „Sex im Amt“ mehrere Berichte erschienen sind, sehe ich mich dazu gezwungen mich auch zu meinem Privatleben zu äußern. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass Treue oder Untreue, oder die Art eine Beziehung zu führen eine rein private Angelegenheit ist. Ich weiß, dass ich als Landrat unter besonderer Beachtung im öffentlichen Leben stehe. Ich dachte aber nicht, dass meine Beziehung in den Fokus des öffentlichen Interesses rücken könnte.
Ja, es ist richtig, dass ich eine Affäre mit einem jungen Mann hatte und es ist auch richtig, dass es auch in meinem Büro zu Begegnungen kam. Beides bedauere ich sehr. Beides hat aber nichts mit meinem Amtsaufgaben zu tun und beides ist moralisch möglicherweise verwerflich aber nicht strafbar. Es war in moralischer Hinsicht ein Fehler von mir, dass ich private Treffen in meinem Büro abgehalten habe. Rechtlich zu beanstanden ist dies in keinster Weise.
Ich bedauere es, dass ich meinen Lebenspartner in so eine belastende Situation gebracht habe und möchte mich jetzt auch öffentlich bei ihm entschuldigen.
Ich möchte mich auch bei den Landkreisbürgern entschuldigen, die ich mit meinem Verhalten enttäuscht habe. Stelle aber ausdrücklich fest, dass ich meinen Amtsgeschäften immer nachgekommen bin und mir hier auch kein Vorwurf gemacht werden kann. Wenn die Medien darüber berichten, dass ich dem jungen Mann angeblich Kontakt zum Jugendamt hergestellt habe, dann kann ich nur sagen, dass ich immer für alle Bürger ansprechbar bin und allen Bürgern Kontakte zu den Mitarbeitern im Landratsamt und auch zu anderen Behörden herstelle, wenn diese mich darum bitten. Im konkreten Fall informierte mich der junge Mann – zeitlich unabhängig eines Treffens – darüber, dass er mit seiner Mutter und deren neuen Partner Probleme habe. Und nachdem das Jugendamt auch für Unterhaltsthematiken junger Erwachsener zuständig ist, bat ich das Jugendamt, den jungen Mann zu kontaktieren. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass ich mich bis heute weder über den Sachstand informieren lies, ich in diesem Fall irgendwelche Handlungsanweisungen an Mitarbeiter getroffen habe. Dies tue ich regelmäßig auch für andere Bürger, die mir von Problemen berichten.
Des Weiteren wird über einen angeblichen Drogenmissbrauch berichtet. Hier möchte ich feststellen, dass ich noch nie Drogen konsumiert habe. Wie absurd die Behauptung ist, zeigt sich daran schon, dass in den Berichten von „Poppers“ die Rede ist. Der Besitz von Poppers wäre meines Wissens nach legal, der Verkauf und Handel verstößt aber gegen die Arzneimittelgesetzgebung. Vom Betäubungsmittelgesetzt werden Poppers wohl aber nicht erfasst.
Ferner wird darüber berichtet, dass ich den jungen Mann mit meinem Dienstwagen abgeholt hätte, was durchaus zutreffend ist. Hier möchte ich nur anmerken, dass ich meinen Dienstwagen auch privat nutzen darf. Dafür beteilige ich mich monatlich – nach einem vom Kreisrechnungsprüfungsausschuss vorab festgelegten Modus - an den Kosten.
Ich bedauere mein Fehlverhalten und ich werde aus den Vorfällen lernen und in meiner persönlichen Lebensführung Konsequenzen ziehen.
Ohne von meinem eigenen Fehlverhalten abzulenken, muss ich dennoch die Vermutung äußern, dass es sich bei den gesamten Behauptungen um eine gezielte Kampagne gegen mich handelt, die darauf angelegt ist, mir politisch zu schaden. Denn mir ist nicht ersichtlich, warum ich mich als einer von vielen hunderten Landräten bundesweit in den Medien für mein Privatleben erklären muss. Und mir ist auch kein Fall bekannt, in dem das Privatleben eines Lokalpolitikers einer führenden bundesdeutschen Zeitung eine Titelseite wert war.
Für weitere Anfragen zu diesem Thema stehe ich nicht zur Verfügung. In den kommenden Tagen werde ich mein Handy ausgeschaltet lassen und mit meinem Partner in Urlaub fahren. Wie bei Urlauben üblich wird mich der stellvertretende Landrat im Amt vertreten.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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