Printmagazin | Mittwoch, 30. Oktober 24

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Kunstwerk vom Maler Herbst (Foto:mediendenk)
Nationalpark Berchtesgaden

Im Paradies des Königs

Beitrag erschienen in Bürgerblick Nr.160 November 2022

Wo die Natur ihre Ursprünglichkeit bewahren konnte, scheint auch das Urvertrauen der Menschen unerschütterlich zu sein. Ein Herbstausflug zu Watzmann und Königssee.

Die Haustür steht offen, im Flur zum Treppenhaus und in der menschenleeren Wirtshausstube brennt Licht. Der orientierungslose Zufallsgast entdeckt einen schwarzen Taster an der Theke, der Hilfe verspricht: „Bitte hier drücken!“. Es erscheint eine junge Frau mit Baby auf dem Arm, die dem Fremden kurz darauf Zimmerschlüssel und Meldeschein in die Hand drückt. „Wollen Sie den Ausweis sehen? Soll ich gleich bezahlen?“, fragt das namenlose Gegenüber. „Morgen reicht“, antwortet die junge Mutter und verweist, bevor sie sich zurückzieht, auf den gläsernen Kühlschrank im Gastraum: drei Schnapsflaschen mit Ausgießern, ein Tablett mit Stamperlgläsern, Weissweinflaschen und Aperol-Spritz in Dosen. „Sie können sich bedienen, einfach aufschreiben.“

Zimmernummer 16 im zweiten Stock, eine Mansarde gen Osten. Durchs Fenster geht der Blick hinaus in eine nebelschwarze Nacht, in der sich schwach eine Reihe von gelben Lichtpunkten abzeichnen, die gen Himmel führen: die beleuchteten Stützpfeiler der Jennerbahn. Sie erschließt Fußfaulen den gleichnamigen gut 1.800 Meter hohen Berg und gibt diesen die Möglichkeit, bei einer Mahlzeit im Almrestaurant die Aussicht auf den 900 Meter höheren Watzmann und den 1.200 Meter tiefer gelegenen Königssee zu genießen.

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Seit der Erstbesteigung im Jahr 1800 durch den Slowenen Valentin Stanič hat der Watzmann über 110 Menschen das Leben gekostet. Allein im ersten Halbjahr 2022 starben im bayerischen Alpenraum 30 Menschen bei Bergunfällen. (Foto:mediendenk)

Jennerbahn: Ticket hin und zurück für Erwachsene 38 Euro, ermäßigt 29,50, Kinder 19,90. Fahrzeit jeweils 20 Minuten. Von 7. bis 30. November wegen Revisionsarbeiten geschlossen.

Der Gast hat Quartier in einer Herberge gleich beim Großparkplatz von Schönau am Königssee bezogen. Dies ist der ideale Ausgangspunkt für alle Bergwanderungen und Sehenswürdigkeiten im Berchtesgadener Nationalpark, der 1978 als erster und bisher einziger deutscher Alpennationalpark ausgewiesen worden ist. „Traumhafte Gegend“, „tolle Wanderwege“, „wahnsinnig gepflegt“, „schönste Ecke Deutschlands“, schwärmen Gäste im Netz. Mit 210 Quadratkilometer reicht er in der Fläche fast an den sechs Jahre älteren Nationalpark Bayerischer Wald, 250 Quadratkilometer, heran.

Glücklichen Umständen ist es zu verdanken, dass der Königssee und seine Bergwelt ihren Zauber der Unberührtheit in die Gegenwart retten konnten. Die bayerischen Herrscher, Prinzregent Luitpold von Bayern (1821-1912) und Märchenkönig König Ludwig II. (1845-1886), hatten sich in dieses Stück Erde verliebt, hier Jagd betrieben und schützend ihre Hand über die Natur gehalten. An der Schiffslände in Schönau am Königssee ist dem Prinzregenten zum 90. Geburtstag ein Obelisk errichtet worden.

„Ihr müsst jetzt still sein und dürft die Fenster aufschieben, sonst könnt ihr meinen Bruder nicht hören“, sagt der Begleiter des Kapitäns und holt aus einem schwarzen Koffer ein Flügelhorn. Das hölzerne Motorboot, 77 Passagiere, hat mitten auf dem See vor einer Steilwand angehalten, die sogenannte Kreuzlwand, so genannt wegen ihrer Gedenktafeln für die Verunglückten und Ertrunkenen. Der Musiker spielt kurze Tonfolgen und in den langen Pausen dazwischen wiederholt der Berg leise die Melodie. Die Echowand ist eine Einlage, die zur Tradition bei jeder Schiffsfahrt nach St. Bartholomä gehört. Früher hätten sie mit Kanonen und Schwarzpulver die Echowand herausgefordert, wegen der Brandgefahr sei dies verboten worden, erzählt der Blechbläser. Er wird belohnt. Es klingelt in seiner Hutkasse.

Der Königssee misst an der tiefsten Stelle fast 190 Meter und sein Wasser hat Trinkqualität. In diesem Herbst sind in seinem Grund neue Kanalleitungen verlegt worden, dass selbst das Abwasser der letzten Almhütte sein Wässerchen nicht mehr trüben kann.

„Dieses einzigartige Gebiet soll vor den Menschen geschützt werden für die Menschen“, steht in einer Denkschrift von 1921. Der gerade erst gegründete Bund Naturschutz hatte vorangetrieben, dass das Gebiet um den Königssee zum Naturschutzgebiet erklärt wird. 100 Jahre später, im Sommer 2021, hat die Nationalparkverwaltung die alte Denkschrift sprichwörtlich wieder umsetzen müssen. Selbstdarsteller im Netz, sogenannte Influencer, hatten ausgelöst, dass ein Wasserfall im Schutzgebiet, der abseits der offiziellen Wanderwege liegt, zum Pilgerort für tausende Fototouristen wurde. Mit einem Zutrittsverbot, das bis 2026 gilt, wurde dem Treiben ein Ende gesetzt. Vegetation und Tierwelt sollen sich von Trampelpfaden, illegalen Feuerstellen und Müll wieder erholen.

Fast lautlos legen die Elektroboote an. Die Klosterkirche von St. Bartholomä, mit ihren roten Zwiebeltürmen dem Salzburger Dom nachempfunden, steht für das wohl bekannteste bayerische Postkartenidyll. Es ist ein fast unwirklicher Ort der Stille. Nicht ganz. Zu Glockengeläut und Kinderlachen gesellt sich manchmal ein tiefes Brummen am Himmel. Der Watzmann liegt auf einem Flugkorridor zwischen Nordwest und Südosteuropa.

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Elektro-Schifffahrt seit 1909 (Foto:mediendenk)
Ungläubige Blicke hat der Schiffsbegleiter geerntet, als er von der Technik der Königsseeschifffahrt erzählt. „Wir fahren seit 1909 elektrisch“, sagt er. Klima- und Umweltschutz, der zurückgeht bis in die Kaiserzeit. Die Batterien würden über Nacht geladen. Dem Reporter fällt dazu ein, wie in diesem Jahr als Sensation das erste Elektroboot der Dreiflüsserundfahrten von Politik und Medien gefeiert worden ist. Michael Brandner, der technische Leiter der Königsseeschifffahrt, erklärt, dass sich die Technik bis heute kaum verändert habe. Es seien nach wie vor Bleibatterien im Einsatz, vier Tonnen schwer, die vom Hersteller nach 1.500 Ladezyklen wieder aufbereitet werden. Mit dem Gewicht im Rumpf seien die Schiffe sicher vor Schlagseite. Mit zwölf Kilometern pro Stunde sind die 18 Boote unterwegs. Im Sommer legt jedes die gut sieben Kilometer lange Strecke, die über St. Bartholomä hinaus bis nach Salet im Obersee führt, sechsmal zurück. „In unserer Werft können wir alle Reparatur und Wartung selbst erledigen“, berichtet Brandner stolz. Die Schiffe sind Marke Eigenbau.

Schifffahrt Königssee, Winterfahrplan: Halbstündlich ab Seelände, Ticket 20 Euro, Kinder 10 Euro, unter fünf Jahren gratis - Hunde 4 Euro. Erste Hinfahrt 9.45 Uhr, letzte Rückfahrt 16.20 Uhr. Täglich außer Heiligabend und bei Vereisung.

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Die Eishöhle, auf 820 Meter das tiefstgelegene Firneis der Deutschen Alpen, verdankt ihre Beständigkeit der Lage in einem sonnenlosen Tal. Durch die Erderhitzung bildet sich zunehmend Schmelzwasser, Eisbrocken lösen sich von der Decke. (Foto:mediendenk)
Die Wanderung von St. Bartholomä zum ewigen Eis am Fuße des Watzmann erfordert ein wenig Kondition und Trittsicherheit. Gedenktafeln am Wegesrand erzählen von Bergsteigern, die an der Ostwand ihr Leben lassen mussten. Steinschläge, Lawinen und Wetterumschwünge bleiben auch für geübte Bergsteiger ein Risiko.

red

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