Nachrichten | Sonntag, 24. Dezember 23

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Heiligabend ist... wenn nur die Dönerbuden geöffnet haben. (Foto: mediendenk)
Heiligabend

Störungen der stillen Nacht

Weihnachten 2023. Es läuft vor der Haustüre vieles anders als uns die Klischeeberichte der Medien glauben lassen. In den Stunden der "stillen Nacht"...

Frieden? Vor einem Hendl-Wirtshaus im Neumarkt hat eine Frau ihren schwarzen Mercedes mit Freisinger Kennzeichen abgestellt, die Fahrertür weit offen, so dass jeder ihr lautes Gespräch mit dem Gegenüber der Telefonverbindung hören kann. „Du weißt, dass ihr Gemüse wichtig ist und nichts hast du gekauft! Wo soll ich das heute bekommen?“ Nicht einmal Brot habe er besorgt, setzt sie aufgebracht ihre Vorwürfe fort. Er denke nur an sich. „Hauptsache, Dein Ranzen ist voll!“ Der öffentliche Streit klingt befremdlich in der mit Weihnachtssternchen erleuchteten Gasse. Sie würden erröten, so sie es könnten. Es scheint sich um einen Geschwisterstreit zu handeln: Wer kümmert sich mehr, wer weniger um die Mutter? Der unfreiwillige Zuhörer überlegt kurz, ob er der Brotlosen seine Tüte mit den drei Semmeln anbieten soll, die bei seinen Weihnachtseinkäufen am Rücksitz liegen. Aber während er überlegt, steigt sie aus und eilt, Zigarette im Mund, davon. Wahrscheinlich versucht sie im Hendl-Wirtshaus das Fehlende zu besorgen.

Stille? In den Hochhäusern in Haibach blinkt hinter manchen Fenstern eine Weihnachtsgirlande. Geschmackssache. Aber dass dieser Kitsch im Takt zusätzlich klappert und klackt, so laut, dass es in der ganzen Siedlung zu vernehmen ist, wäre neu. Es klingt, als würde über Verstärker jemand auf einem untauglichen Schlagzeug sich versuchen oder unentwegt Glasschusser in eine Schüssel fallen lassen. Besinnlichkeit scheint dem Verursacher an Heiligabend nicht wichtig zu sein. Oder doch? Des Klangrätsels Lösung: Jemand hat im Freien, auf seinem überdachten Balkon im dritten Stock, den Wäschetrockner aufgestellt und eingeschaltet. Knöpfe oder Münzen oder was immer auch Metallisches in der Kleidung verblieb, lassen in der stillen Nacht die Trommel klingen.

Frohsinn? Eine 93-jährige Frau erlebt das erste Weihnachten als Witwe. Nach 56 Jahren Ehe ist ihr der Mann vor wenigen Monaten vorausgegangen. Sie hat Nachbarn und Angehörige wissen lassen, dass sie am Heiligabend allein sein möchte.  Denn jeder Weihnachtsgruß „Frohes Fest!“ würde ihr das Herz nur noch schwerer machen. Kein geschmückter Tannenbaum, viele einsame Tränen. Die Zahl der Alten, die hochbetagt mit dem Alleinsein zurechtkommen müssen, steigt. Die Mitwirkenden der Telefonseelsorge wissen um die Not verlorener sozialer Bindungen. Tipp: Das "Haus der Generationen" im Schatten der evangelischen Kirche im Neumarkt steht allen Kontaktsuchenden offen.

Rücksichtnahme? Nichts soll die besinnlichen Tage trüben. Der Autor hat die Gepflogenheit seiner Eltern, Inhaber eines Handwerksbetriebs, geschätzt, zu Weihnachten der Kundschaft keine Rechnungen zu verschicken. Er erinnert sich dessen, als jetzt zum Jahresende Vertriebsrechnungen zum Versand anstehen. Sie lassen sich ebenso gut nach Weihnachten zur Post geben. Ist Empfindsamkeit anderen gegenüber im Privatleben wie im Geschäftsbetrieb verschwunden? Einer Rentnerin flattern am Tag vor dem Weihnachtswochenende zwei Rechnungen ins Haus; Absender sind ein Sanitärbetrieb und das Rote Kreuz. Letzteres mahnt eine offene Rechnungsdifferenz von 30 Euro an. Hätte das nicht eine Woche Zeit gehabt? Haben früheren Generationen es mit der Empathie übertrieben?

Familienfest? "Ich chille heute mit einem Kumpel", verkündet ein junger Mann seine Pläne zu Heiligabend. Die Eltern trennten sich als er Schüler war. Sein Vater schafft in Rumänien und seine Mutter lebt in Düsseldorf. Er steht ohne enge Familienbindungen auf eigenen Beinen. Wo Familien zerrüttet sind, wird die weihnachtliche Zusammenführung als Zwang oder Stress empfunden. Betroffene verreisen in weihnachtsferne Länder oder ertragen ihr Schicksal, sichtbar geworden am Samstag in Einkaufswagen und auf dem Kassenband, mit Alkohol.   

hud

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